27. Jänner 1924 – 20. September 2010
Käthe Anders, am 27. Jänner 1924 in Wien als Katharina Sommer geboren, kam aus ärmsten Verhältnissen. Nach Beendigung der Schule arbeitete sie zunächst als Hilfsarbeiterin in einer Schokoladenfabrik. 1939 trat sie eine Stelle als Hausmädchen in einem christlich-jüdischen Haushalt an, musste diesen Arbeitsplatz aber auf Intervention der NSDAP verlassen: Ein „deutsches Mädchen“ dürfe nicht für eine Jüdin arbeiten.
Kein „deutsches Mädchen“. „Aggressiv war ich, jung war ich. Ich bin kein deutsches Mädchen, hab ich gesagt, ich bin eine Wienerin, und ich arbeit dort, weil’s mir gefällt und gut geht!“, beschrieb sie für das Buch „Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark“ diese Situation.
Käthe Anders wurde einer SS-Familie als Kindermädchen zugeteilt. Nachdem sie von diesem Arbeitsplatz geflüchtet war, wurde sie verhaftet und als „schwer erziehbar“ in ein Erziehungsheim eingewiesen. Weil sie dort mit anderen Mädchen u.a. Hitlerbilder beschmierte und Streuzettel („Heil Moskau“) verfasste, wurde die damals 16-Jährige am 6. September 1940 festgenommen. Käthe Anders wurde vom Jugendgericht zu sechs Monaten schwerem Kerker verurteilt – sie verbrachte insgesamt zehn Monate in Einzelhaft im Jugendgefängnis –, und nach Verbüßung der Strafe wurde sie für zehn Tage zur Gestapo gebracht, wo sie ihre Mutter zufällig noch einmal sah: „Sie hat sich vor der Frau auf die Knie gehaut, ich bitt Ihnen, helfen’s mir, lassen’s mein Kind net fortbringen. Jetzt kann ihr niemand mehr helfen, sagt die. Diese Worte sind in meinem Gedächtnis geblieben: Jetzt kann ihr niemand mehr helfen.“ Sie wurde nun in die „Bundesanstalt für erziehungsbedürftige Mädchen“ Hirtenberg eingewiesen. Dort bezeichnete sie im Zuge einer Auseinandersetzung einen SS-Mann, der sie wegen einer Diphterieerkrankung des Simulantentums verdächtigte, als „Nazi-Schwein“. Im Juni 1942 wurde sie ins KZ Ravensbrück deportiert.
Nazi-„Erziehung“. Kurz nach ihrer Ankunft wurde Käthe Anders in das sogenannte „Jugendschutzlager Uckermark“ überstellt, wo sie entsetzliche Schikanen erlebte: „Ab zehn Uhr hast du net mehr aufs Klo raus dürfen, ein SS-Weib ist davor im Dienstzimmer gesessen. Aber ich kann doch net ins Bett machen! Habe ich probiert, mich rauszuschleichen. Nur einmal hab ich das gemacht, der Hund hat mich gleich gehabt. Zum Glück hat er nicht ins Fleisch gebissen, sondern nur das Hemd erwischt.“ Was die Nazis unter „Erziehung“ verstanden, betraf alle Lebensbereiche: „In der Früh rausgepfiffen, um fünf Uhr, Frühsport. Bloßfüßig. Da hat es können regnen oder frieren oder schneien. Oft hat es im Winter minus 20 Grad gehabt, da hast müssen hüpfen, dass du net am Boden angefroren bist. Ich war noch net ganz beinander von der Diphterie, jetzt hab ich oft net so mitkönnen. Strafweis musste ich Liegestützen machen.“ Die Verzweiflung unter den Mädchen war groß: „Und in der Nacht! Wir waren todmüd, eine Aufseherin hat sich aber einen Spaß gemacht, uns rauszupfeifen. Ist sie mit dem Pfeiferl mitten in der Nacht kontrollieren gegangen, und wenn sie eine gefunden hat, von der die Füße im Strohsack gesteckt sind, hat sie uns alle rausgepfiffen. Wir haben zwar ein Leintuch gehabt, das haben wir aber weggegeben und die Füße ins Stroh gesteckt, damit uns wärmer ist. Das war verboten. Das hat sie kontrolliert. Mit der Taschenlampe mitten in der Nacht. Im Hemd mussten wir stehen, eine Stund, zwei Stunden. In der Früh um fünf Uhr ist wieder Tagwerk gewesen. Schikaniert haben’s uns! Dass man da mit den Nerven fertig wird, ist kein Wunder. Aus Spaß haben sie das gemacht. Hat ihnen das weh getan, wenn wir uns die Füße wärmen? Dass Menschen so sein können!“
Selbstbewusste Frau. Käthe Anders wurde am 26. Juni 1944 aus dem Jugend-KZ Uckermark entlassen, litt aber noch jahrzehntelang an den Folgen. Sie hatte eine Reihe schwerer Krankheiten. Ab 1954 war sie auch noch arbeitslos und vereinsamte zusehends: „Die Depressionen sind immer schlimmer geworden. Ich hab oft ganze Nachmittage geweint, grundlos. Wenn mein Mann heimgekommen ist, hat er das nicht einmal bemerkt. Hallo Baby, geht’s dir gut? Das war alles.“
Doch sie konnte sich aus der belastenden lieblosen Ehe befreien: „Mein Selbstbewusstsein als Mensch und als Frau hab ich mir erst nach meiner Scheidung erkämpft. 20 Jahre hat es gedauert, bis ich mich endlich durchgerungen hab. (…) Damals ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich ein Mensch bin und nicht mein ganzes Leben nur ein Gebrauchsartikel, dass ich ein Recht hab auf mein Leben.“
Im Nachkriegsösterreich wurde ihre Haftzeit in Uckermark nicht anerkannt, da die Behörden die Nazi-Kategorisierung des Mädchen-KZ Uckermark als Lager für „Asoziale“ einfach übernahmen. Aufgrund der Haft bei der Gestapo und im Jugendgericht erhielt Käthe Anders 1952 eine Amtsbescheinigung, aber erst 1984 wurde ihr – nach Hilfe durch die Lagergemeinschaft der ehemaligen Ravensbrücker Häftlinge – eine Entschädigung für die im KZ Uckermark verbrachte Haft im Wege des Härteausgleichs gewährt. Lange Jahre arbeitete sie später ehrenamtlich im DÖW, wo sie u.a. die Ausstellungsräume beaufsichtigte.
Bis zuletzt fiel es ihr sehr schwer, das Erlittene zu verkraften. „Wir Jungen haben ja noch nicht gelebt. Wir haben vorher nicht gelebt und nachher nicht“, sagt sie im Buch über das KZ Uckermark. Und sie fügte hinzu: „Irgendwie muss ich das Ganze halt verkraften, und heute sag ich mir, so weit ist es jetzt nimmermehr bis zur Ewigkeit.“ Am 20. September 2010 starb Käthe Anders im Alter von 86 Jahren.
Sylvia Köchl
Käthe Anders: Nie gelebt; in: Limbächer, Katja / Merten, Maike / Pfefferle, Bettina (Hg.): Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark. Münster 2000. S. 110-120