Regine Chum (1923-2007)

1. April 1923 – 9. August 2007

Regine Chum bei einem Treffen der Lagergemeinschaft Ravensbrück im April 1999. Foto: Sylvia Köchl

Regine Chum bei einem Treffen der Lagergemeinschaft Ravensbrück im April 1999. Foto: Sylvia Köchl

Lebensdaten von Regine Chum

Regine Chum wurde als erstes von zwei gemeinsamen Kindern des Ehepaares Waringer am 1. April 1943 in Wien geboren. Nach den Nürnberger Rassegesetzen als „jüdischer Mischling“ eingestuft, wurde sie wie ihr jüngerer Bruder 1938 der Schule verwiesen, sie erhielt dadurch keinen Hauptschulabschluss. Durch die Ghettoisierungspolitik der Nazis musste die Familie aus der Wohnung im 17. Bezirk ausziehen, das gesamte Mobiliar wurde konfisziert. Bis zu ihrer Deportation 1944 mussten Regine Chum und ihre Familie fünf Mal übersiedeln, im Zweiten Bezirk von einer Sammelwohnung zur nächsten.
Regine Chum war in einer Flaschenreinigungsfirma dienstverpflichtet, als sie sich einer Widerstandsgruppe um Walter Kempf anschloss, die sich aus den erwachsenen Kindern bereits verhafteter kommunistischer Widerstandskämpfer zusammensetzte.
1942, im Alter von 19 Jahren, wurde Regine Chum das erste Mal verhaftet. Die Anklage lautete auf Widerstand gegen die Staatsgewalt, Umtriebe und Teilnahme an verbotenen Zusammenkünften. Nach einem Jahr Haft im Landesgericht wurde sie entlassen. Sie setzte umgehend ihre Widerstandstätigkeit fort, indem sie für im Sammellager zusammengepferchte Jüdinnen und Juden Lebensmittel organisierte, darunter Zucker für die Kinder, die ihr besonders am Herzen lagen. Im Sommer 1944 wurde Regine Chum neuerlich verhaftet, drei Monate im Gefängni Roßauer Lände festgehalten und Ende September 1944 nach Auschwitz deportiert. Dort musste sie in der Typhusbaracke arbeiten. Ein Monat später wurde sie in einem Viehwaggon nach Ravensbrück transportiert, wo sie vorübergehend im Zelt untergebracht, später der Zwangsarbeit bei Siemens & Halske zugeteilt wurde. Am 27. April 1945 konnte sie mit anderen Frauen vom „Evakuierungsmarsch“ entkommen, mit nur 34 kg Körpergewicht kehrte sie nach Wien zurück. Ihr Vater und seine gesamte Familie hatten nicht überlebt.

Mit ihrem Ehemann, den sie 1947 heiratete und der leider früh verstarb, hatte Regine Chum einen Sohn und eine Tochter. Von Beginn an war Regine Chum Mitglied im KZ-Verband und bei der Auschwitzer und Ravensbrücker Lagergemeinschaft, viele Jahre war sie auch als Zeitzeugin tätig, unter anderem in Schulen oder bei organisierten Fahrten nach Auschwitz.
Im Interview mit Helga Amesberger im Jahr 1999 antwortete sie auf die Frage, ob sie heute wieder, mit dem Wissen um die Folgen, in den Widerstand gehen würde: „Ja, das täte ich auf jeden Fall. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel daran, dass ich das nicht machen würde. Wenn ich schon an meine Kinder denke. … An andere Kinder. Ja, also das täte ich sofort.“

Regine Chum ist eine der sechs porträtierten Frauen im Film „Vom Leben und Überleben“ (2003) / Filmstill

Regine Chum ist eine der sechs porträtierten Frauen im Film „Vom Leben und Überleben“ (2003) / Filmstill

Abschiedsrede bei der Beisetzung am Wiener Zentralfriedhof

Liebe Trauernde,
Ich darf zu Ihnen als eine sprechen, die in der Lagergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen Mitglied ist. Dort, bei den monatlichen Treffen habe ich auch vor nun schon 10 Jahren Regine Chum kennen gelernt. Ich habe Regine nicht so gut persönlich gekannt, unsere Treffen gingen nicht über die der Lagergemeinschaft hinaus. Dort, bei diesen Treffen, habe ich sie manchmal reden gehört. Und ich kann mich noch gut an ihre sehr humorvolle Art zu erzählen erinnern. Regines Aktivität war in den letzten Jahren schon sehr eingeschränkt durch ihre Gebrechlichkeit, jetzt ist sie endgültig von uns gegangen. Und ich denke, den meisten von uns in der Lagergemeinschaft ist als letzte Erinnerung die Freude darüber geblieben, dass Regine zur 60 Jahr Feier gekommen ist.
Mich macht Regines Tod traurig, aber es gibt für mich auch den Trost, dass es okay ist zu sterben – es kommt halt darauf an wann und wie. Und für mich ist es insofern okay, weil Regine alt geworden ist, weil diese berührende Zeile auf ihrem Partezettel zu lesen ist, dass sie in den Händen ihrer Kinder eingeschlafen ist. Und es ist für mich ein Trost, dass sie nicht den Tod gestorben ist, den andere Menschen für sie in den Konzentrations- und Vernichtungslagern geplant hatten.
Sie musste dieses Sterben der unfassbar Vielen in Auschwitz und in Ravensbrück mit ansehen, in dieser Zeit, in der Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen davon überzeugt waren, bestimmen zu können, wer lebendig sein darf und wer nicht. Aus dem Interview, das ich von ihr kenne blieb mir in Erinnerung, wie grausam es für sie war, die Kinder zu sehen, zu sehen wie sie ermordet werden. Es sind für mich diese Erinnerungen, die Regine weiter gegeben hat, für die ich ihr sehr dankbar bin. Nicht, weil sie angenehm wären, sondern weil sie mich mahnen, dass es etwas zu tun gilt dafür, Menschlichkeit und Respekt vor anderen zu leben.
Regine ist eine, die gegen den Wahnsinn des Nationalsozialismus gekämpft hat. Die auf die Frage, ob sie mit dem Wissen um die Folgen wieder in den Widerstand gehen würde ohne Zögern geantwortet hat: „Ja, das täte ich auf jeden Fall. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel daran, dass ich das nicht machen würde.“ Und dafür ist sie für mich ein Anknüpfungspunkt, den ich dankbar aufgreife. Sie führt mir damit vor Augen, dass auch ich nicht bequem weg sehen kann wenn jemand neben mir nationalsozialistisches Gedankengut äußert oder seinem oder ihrem Antisemitismus Luft macht. Dann fallen mir diese wunderbaren Frauen ein, die „Alten“ der Lagergemeinschaft, und ich weiß, dass ich den Widerspruch tätigen muss. Denn es sind ihre Zeugnisse und ihre Geschichten, es ist Regines Lebensgeschichte, die ich hören möchte. Es sind ihre Erfahrungen die ich Wert schätze und an die ich – eben auch als Mitglied der Lagergemeinschaft – anknüpfen möchte. Es sind Regines Geschichten, die ich als Auftrag für die Gegenwart und die Zukunft annehmen möchte. Regines Lebensgeschichte hat nun ein Ende gefunden. Ich bin dankbar dafür, dass ich Teile davon in Erinnerung behalten kann.

Lela Gahleitner


Nachruf auf Regine Chum

Unsere KZ-Kameradin Regine ist am 9. August 2007 an einem Herzschlag, ausgelöst durch plötzlichen Bluthochdruck, gestorben.
Sie wohnte bereits einige Zeit im Jüdischen Altersheim in Wien und wurde von ihren beiden Kindern liebevoll betreut. Dort hat sie sich es nicht nehmen lassen, andere, bettlägerige, kranke KZ-Kameraden immer wieder aufzusuchen und sich so um sie zu kümmern. Ihre Tochter Ruth musste sie im Rollstuhl zu diesen führen.
Das letzte Mal kam sie zur 60-Jahr-Feier der Ravensbrückerinnen ins Parlament, im Rollstuhl, in Begleitung ihrer Tochter, und ist auch in dem schönen Film über diese Veranstaltung zu sehen.
Sie war mit ihrer Tochter in Kroatien auf Urlaub und am Heimweg ist sie im Auto in den Armen ihrer Tochter friedlich eingeschlafen. Noch in Laibach wurde sie eingeäschert, dies war ihr Wunsch, und Ruth brachte die Urne nach Wien.
Die Verabschiedung und Beisetzung fand am 21. August 2007 in der Feuerhalle beim Zentralfriedhof in Wien statt. Es war eine feierliche und berührende Abschiedsfeier, mit vielen Teilnehmern, die aus den verschiedenen Organisationen kamen, in denen sie seit der Befreiung beziehungsweise Flucht tätig war.

Lotte Brainin
Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück


Regine Chum ist eine der sechs porträtierten Frauen im Film „Vom Leben und Überleben“ (2003) von Bernadette Dewald und Gerda Klingenböck.