Ein Überblick: Häftlinge, SS-Bewachung, Lagerkomplex und Zeitverlauf
Die Häftlinge
Das Konzentrationslager Ravensbrück – ca. 80 km nördlich von Berlin nahe der Kleinstadt Fürstenberg am Schwedtsee gelegen – war das zentrale Frauen-KZ des nationalsozialistischen Staates. Zwischen Mai 1939 und Ende April 1945 wurden rund 120.000 Frauen aus über 30 Ländern hierher verschleppt. Etwa 40.000 Polinnen bildeten die größte nationale Gruppe, gefolgt von etwa 25.000 Frauen aus der Sowjetunion, etwa 9.000 (vorwiegend jüdischen) Ungarinnen sowie rund 8.000 Französinnen. Dazu kamen ca. 22.000 „reichsdeutsche“ Häftlinge, also Deutsche und Österreicherinnen.
Die Zusammensetzung der Häftlinge veränderte sich ständig, und hing von mehreren Faktoren ab: Einerseits spiegelte die nationale Zusammensetzung den Kriegsverlauf bzw. die Besetzung von Staaten durch die deutsche Wehrmacht wider. So waren zwischen 1941 und 1943 Zwangsarbeiterinnen aus Polen, der Sowjetunion und der Ukraine besonders große Gruppen von Deportierten. Sie wurden aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Verstöße gegen die vielen Vorschriften für ZwangsarbeiterInnen verhaftet. 1943 wiederum kamen erste Deportationen aus Frankreich und Jugoslawien, aber auch Transporte mit sowjetischen Rotarmistinnen in Ravensbrück an. Ende 1941, Anfang 1942 wurden etwa 1.500 Jüdinnen aus Tschechien, Polen und Holland eingeliefert.
Andererseits lässt sich an der Zusammensetzung der Häftlinge auch die im Zeitverlauf unterschiedliche Verfolgungsintensität gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen, gekennzeichnet u.a. auch durch neue gesetzliche Regelungen, ablesen. Bis Ende 1939, also im ersten Halbjahr des Bestehens des KZ Ravensbrück, bildeten die Zeuginnen Jehovas aus Deutschland und Österreich die größte Häftlingsgruppe. Aber bereits im Juni 1939 waren 440 österreichische Roma-Frauen und -Kinder nach Ravensbrück verschleppt worden – ein deutlicher Hinweis auf die Prioritäten, die der im März 1938 neu hinzugekommene Teil des NS-Staates, nämlich Österreich, setzte. Bis 1941 bildeten bei den Neueinlieferungen Frauen aus Deutschland und Österreich, die als „asozial“ oder „kriminell“ verfolgt wurden, die größten Gruppen. Mit der Haftkategorie „Verkehr mit Fremdvölkischen“ war ab Herbst 1940 eine neue Verfolgtengruppe aus Deutschland und Österreich hinzugekommen. Ab Ende 1942 wurden immer mehr deutsche und österreichische Regimegegnerinnen eingeliefert. Als Jüdinnen, aber auch als Romnija und Sintezzi klassifizierte Frauen wurden in erster Linie in Vernichtungslager deportiert – das erklärt die insgesamt eher geringere Größe dieser Häftlingsgruppen in Ravensbrück. Das änderte sich Mitte 1944 bis Anfang 1945 wieder, als die Räumungstransporte, v.a. im Juli 1944 aus Auschwitz, im KZ Ravensbrück ankamen. << nach oben
Bewachung: Die SS und ihr „Gefolge“
Seit 1934 war Heinrich Himmler (Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei) mit seiner SS verantwortlich für Aufbau und Führung der Konzentrationslager. Die Bewachungsorganisation im KZ Ravensbrück unterschied sich kaum von jener in anderen Lagern: An der Spitze des KZ stand der Kommandant, der den Oberbefehl hatte. Darunter exekutierte der Schutzhaftlagerführer mit seinem Stab dessen Anweisungen und sorgte vor allem für die Durchsetzung der „Lagerordnung“. Ein Arbeitseinsatzführer und eine Verwaltungsabteilung komplettierten die Kommandoeinrichtungen. Nicht dem Kommandanten unterstellt waren der SS-Standortarzt, vor allem aber die Politische Abteilung, auch Lager-Gestapo genannt. Die Politische Abteilung war die Vertretung der Gestapo in den KZs, wurde meist von einem Gestapo- oder Kriminalbeamten geleitet und hatte ganz wesentliche Aufgaben: Sie führte sämtliche Akten und Karteien der Häftlinge, verwaltete Aufnahmen und Entlassungen und verfügte über einen Erkennungs- und einen Vernehmungsdienst (die Anwendung der Folter inbegriffen).
Himmler hatte bereits bei der Organisierung der kleineren frühen Frauenlager darauf bestanden, dass zur Bewachung der Häftlinge Frauen eingesetzt werden sollten. Da Frauen der SS nicht beitreten durften, wurde 1940 das Konstrukt „weibliches Gefolge der Waffen-SS“ erfunden. Rekrutiert wurden die KZ-Aufseherinnen über Zeitungsinserate, Stelleninserate bei den Arbeitsämtern und durch Mundpropaganda. Im Laufe der Jahre waren rund 4.000 Aufseherinnen im KZ Ravensbrück beschäftigt, davon viele in den Außenlagern, die ab 1942 immer häufiger im Nahebereich von Rüstungsbetrieben errichtet wurden, aber auch in den Frauenabteilungen anderer KZs. Ravensbrück wurde so auch zum zentralen Ausbildungslager für Aufseherinnen. Die Aufseherinnen erhielten Dienstwohnungen, eigene Uniformen mit Reichsadler (gefertigt von KZ-Häftlingen) und waren mit einer Pistole bewaffnet. Die Aufseherinnen bewachten die Häftlinge sowohl innerhalb des Lagers als auch außerhalb bei Arbeitseinsätzen. In jeder Häftlingsbaracke, genannt Block, war eine Blockführerin eingesetzt, die ihren Arbeitsplatz direkt im Block hatte. Die Aufseherinnen konnten im Gegensatz zu den SS-Männern nur eingeschränkt aufsteigen, nämlich ausschließlich zur Oberaufseherin bzw. zur stellvertretenden Oberaufseherin. Organisatorisch wurden die Oberaufseherin und ihre Stellvertreterin direkt dem Schutzhaftlagerführer unterstellt, sie sollten ihn „in allen weiblichen Angelegenheiten“ beraten.
Eine weitere Besonderheit in der Bewachungsorganisation des KZ Ravensbrück war die Einführung von Hundestaffeln bereits im Juni 1939, d.h. um Jahre früher als in anderen KZs. Andererseits gab es bis April 1941 keine eigene Wachmannschaft für die äußere Bewachung. Die meterhohe Lagermauer mit stromgeladenem Stacheldraht wurde als ausreichend erachtet. Die Hunde wurden auf Gewalt gegen Häftlinge gedrillt, und die Aufseherinnen mussten Kurse absolvieren, um den Umgang mit ihnen zu lernen. Die Hunde waren definitiv als Waffen anzusehen. Im Laufe der Zeit sollen mindestens 40 Hunde im KZ Ravensbrück verwendet worden sein. << nach oben
Der Lagerkomplex
Zum Lagerkomplex Ravensbrück kam 1941 ein kleineres Männerlager hinzu, in dem insgesamt etwa 20.000 Männer inhaftiert waren. Im Juni 1942 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft zum Frauen-KZ das sogenannte „Jugendschutzlager Uckermark“, ein KZ für junge Frauen und Mädchen errichtet. Etwa 40 Außenlager waren dem Frauen-KZ unterstellt.
Mindestens 28.000 Menschen, davon mehr als 25.000 Frauen, überlebten die Bedingungen und den Terror dieses Lagerkomplexes nicht. Die genaue Anzahl der Todesopfer ist nach wie vor unbekannt, da über diejenigen Menschen, die bei den Todessmärschen, auf die die gehfähigen Häftlinge 1945 von der SS getrieben wurden, die so die Befreiung des Lagers verhindern wollten, ums Leben kamen, keine gesicherten Angaben existieren. Ebenso ungesichert ist die Anzahl jener Menschen, die unmittelbar nach der Befreiung noch im Lager an den Folgen der Haft starben.
Das Frauen-KZ, das Stammlager Ravensbrück, wurde im Laufe der Jahre zwar ständig erweitert, doch die Erweiterung konnte den „Anforderungen“ nie gerecht werden, was nach und nach zu einer eklatanten Überbelegung in den Baracken führte. Als 1944 immer mehr Evakuierungstransporte aus den Vernichtungslagern in Osteuropa im Frauen-KZ ankamen und insbesondere nach der Deportation der ungarischen Jüdinnen wurde im August 1944 mitten im Stammlager ein riesiges Zelt errichtet, in dem zeitweise an die 4.000 Frauen eingepfercht waren. Die Todesrate war hier besonders hoch.
Bis zum Frühjahr 1943 ließ die SS die Toten im Krematorium von Fürstenberg einäschern und die Asche dort in einem eigenen Loch verschwinden. Ende April 1943 wurde direkt neben der Lagermauer im KZ Ravensbrück ein eigenes Krematorium gebaut. Die Asche wurde verscharrt oder in den Schwedtsee geschüttet. Im Jänner 1945 wurde das Mädchen-KZ Uckermark großteils geräumt, die jungen Frauen ins Stammlager verbracht und im KZ Uckermark ein Vernichtungslager für nicht mehr arbeitsfähige Frauen eingerichtet. Ebenfalls im Jänner 1945 errichtete die SS im Stammlager eine provisorische Gaskammer, in der bis zu ihrer Demontage Ende März etwa 5.000 Frauen und 100 Männer, darunter besonders viele Jüdinnen und Juden, vergast wurden.
Besonders wichtig im Lagerkomplex Ravensbrück: Um die Arbeitskraft der Häftlinge gewinnbringend ausbeuten zu können, wurden im Frauen-KZ vier SS-eigene Wirtschaftsbetriebe errichtet: Bekleidungswerk der Waffen-SS, Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung, Deutsche Ausrüstungswerke sowie Gesellschaft für Textil- und Lederverwertung. Allein die Textil- und Lederverwertung (Texled) unterhielt mehrere Produktionsstätten, darunter eine Strohschuhflechterei, eine Weberei und mehrere Schneidereien. Zu diesen Betrieben kam im Spätsommer 1942 das „Siemenslager“ hinzu, unmittelbar neben dem Stammlager gelegen, getrennt nur durch einen Schienenstrang, der (vorwiegend) dem Gütertransport diente. In 20 Werkhallen der Firma Siemens & Halske mussten weibliche Häftlinge Zwangsarbeit verrichten. 1944 errichtete Siemens eigene Unterkunftsbaracken neben den Werkhallen. Es war dies der erste Einsatz von Häftlingen in der Rüstungsproduktion unmittelbar auf einem KZ-Gelände.
Zum Frauen-KZ gehörten noch weitere wichtige Einrichtungen, darunter ein Krankenrevier, das zwischen Juli 1942 und August 1943 auch zum Schauplatz pseudomedizinischer Experimente, vornehmlich an jungen Polinnen, wurde, und ein Lagergefängnis (Zellenbau oder Bunker genannt), das drei Zwecken diente: der Verbüßung von Disziplinarstrafen (neben Haft auch die Prügelstrafe), der Unterbringung prominenter „Sonderhäftlinge“ und als Folterstätte der „Lager-Gestapo“ des KZ Ravensbrück. << nach oben
Zeitverlauf: Einschneidende Ereignisse in der Lagergeschichte
In den Jahren des Bestehens des Frauen-KZ Ravensbrück können (sehr grob) drei besonders einschneidende Ereignisse benannt werden, die die Überlebenschancen der Häftlinge stark beeinflussten. Zu Beginn, von 1939 bis Anfang 1942, litten die Häftlinge einerseits unter der militärischen Disziplin, die ihnen auferlegt wurde (um nur ein Beispiel zu nennen, wurde jeden Morgen kontrolliert, ob die Betten nach zentimetergenauen Vorgaben gemacht worden waren), und andererseits unter den sehr schweren körperlichen Arbeiten, die der Auf- und Ausbau des Lagers mit sich brachte. Spätestens ab 1942 erhielten die Frauen immer weniger und immer schlechteres Essen, und es gab keine geregelte Ausgabe von Häftlingsbekleidung mehr.
Ein erster drastischer Einschnitt war die Aktion „14 f 13“, die Fortführung der sogenannten „Euthanasie“ in den Konzentrationslagern und damit die erste systematische Mordaktion in den KZs. Im Frühjahr 1942 wurden 1.600 weibliche Ravensbrücker Häftlinge getötet – das Zehnfache aller Todesfälle in den ersten drei Jahren. Mehrere SS-Ärzte arbeiteten an den Selektionen mit. Zunächst waren kranke und alte Frauen betroffen, also „Arbeitsunfähige“, danach Jüdinnen, Romnija und Sintezzi sowie die Häftlingsgruppen der „Asozialen“ und „Kriminellen“. Im ersten Halbjahr 1942 wurden die selektierten Frauen in die Tötungsanstalt Bernburg zur Vergasung deportiert. Im Herbst 1942 wurde der Anordnung des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, das KZ Ravensbrück „judenfrei“ zu machen, nachgekommen: Am 6. Oktober 1942 wurden über 600 Frauen, fast ausnahmslos Jüdinnen, ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Bereits im März 1942 waren 1.000 nichtjüdische Häftlinge aus Ravensbrück mit einigen Aufseherinnen ins KZ Auschwitz (Stammlager) verlegt worden – so wurde dort die erste Frauenabteilung geschaffen.
Ebenfalls im Jahr 1942 wurden in zehn KZs, darunter auch in Mauthausen, für männliche Häftlinge Lagerbordelle eingerichtet. Von den mehr als 200 weiblichen Häftlingen, die in diesem Zusammenhang ausgebeutet wurden, kamen die meisten aus dem KZ Ravensbrück. Auch für SS-Bordelle und Wehrmachtsbordelle wurden Häftlinge in Ravensbrück rekrutiert, die Quellenlage dazu ist aber sehr schlecht.
Ab 1943 änderte sich die Situation der Häftlinge durch ihren Einsatz in der Rüstungsindustrie abermals: Die Einlieferungen, aber auch die Weiterdeportationen in die Außenlager, die direkt neben Rüstungsbetrieben errichtet worden waren, nahmen stark zu. Die Existenzbedingungen, Essen und Unterbringung, verschlechterten sich rapide. Aufgrund der Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie veränderten sich aber auch die Kriterien für die Mordaktion „14 f 13“. Die Anweisungen an die Lager-SS besagten, dass nur noch komplett arbeitsunfähige Häftlinge selektiert werden sollten, bei „nur“ kranken Häftlingen solle zuerst geprüft werden, ob sie nicht noch leichtere Arbeit leisten könnten. Zwischen Anfang 1943 und Ende 1944 gingen etwa 60 Transporte mit selektierten Frauen vom KZ Ravensbrück weg – diesmal in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Ab der zweiten Jahreshälfte 1944 bis Anfang 1945 wiederum stiegen die Einlieferungen wegen der Räumungstransporte aus den in Osteuropa gelegenen Konzentrations- und Vernichtungslagern auf ein riesiges Ausmaß an.
Den dritten Einschnitt bildeten die Umfunktionierung des Mädchen-KZ Uckermark zu einem Tötungslager für Frauen aus dem Stammlager Ravensbrück sowie die Errichtung einer eigenen Gaskammer im Stammlager Ende Jänner 1945. Im Lager Uckermark wurden nicht arbeitsfähige Häftlinge durch Verhungernlassen, durch die Verweigerung jeglicher medizinischer Versorgung und durch die Verabreichung von Gift mit dem Essen und mit Giftinjektionen ermordet. Zwischen 6.000 und 8.000 Frauen wurden ins Lager Uckermark verschleppt – Mitte April wurde das Tötungslager aufgelöst und weniger als 1.500 Frauen zurück ins Stammlager gebracht.
Die Befreiung
Am 27. und 28. April 1945 räumte die SS das KZ: Mehr als 20.000 Frauen mussten Richtung Nordwesten marschieren. Am 30. April befreite eine Einheit der Roten Armee das KZ und fand etwa 2.000 zurückgelassene kranke Häftlinge vor. Bis zum 3. Mai hatten Einheiten der Roten Armee auch die Häftlinge auf dem Todesmarsch eingeholt. So die Frauen während des Marschs nicht flüchten hatten können oder auf dem Marsch starben, wurden nun auch sie befreit. Trotz der intensiven ärztlichen Hilfe durch die Rote Armee starben Hunderte von Frauen noch unmittelbar nach ihrer Befreiung.
ÖsterreicherInnen in Ravensbrück
Die Angabe einer genauen Zahl an österreichischen Häftlingen – sie wurden in den Aufzeichnungen von SS und Lager-Gestapo als „Reichsdeutsche“ geführt – ist bislang nicht möglich. Wurde über Jahrzehnte von 800 bis 1.000 ÖsterreicherInnen gesprochen, gilt mittlerweile mindestens die doppelte Anzahl als gesichert.
Mehr dazu finden Sie bei der Beschreibung des Projekts „Namentliche Erfassung der ehemaligen ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück“.
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Text: Sylvia Köchl
Zusammenfassungen der Geschichte des KZ Ravensbrück finden sich auch hier:
Mahn-und Gedenkstätte Ravensbrück
Ausstellung „Wege nach Ravensbrück“
Zur Vertiefung bitte unsere Literaturempfehlungen beachten.