10. Juli 1929 – 10. Dezember 2010
Zum Gedenken an Anna Kupper:
Unsere liebe Freundin Anna Kupper ist tot. Sie starb am Freitag, den 10. Dezember, im Alter von 81 Jahren.
Anna kam als Anna Amalia Ogris am 10. Juli 1929 in Rabenberg im Rosental, Kärnten, zur Welt. Sie wurde in eine slowenische Familie hineingeboren, Slowenisch war die Sprache ihrer Kindheit, ihrer Familie, ihrer Lieben. Während des Nationalsozialismus war eine slowenische Identität unerwünscht, ja gefährlich. Man stand automatisch in Verdacht, gegen das NS-Regime eingestellt und aktiv zu sein. – Dies war bei der Familie Ogris auch tatsächlich der Fall.
Anna erzählte, dass damals viele Partisanen zu ihnen auf den Hof gekommen seien. Nahrung und sonstige Unterstützung war nötig, auch die Tante hat immer wieder Essen zu den PartisanInnen in den Wald getragen. Anna und ihre Schwester brachten Post oder Pakete von den Angehörigen zu den PartisanInnen in den Wald und erledigten Kurierdienste; sie holten auch Männer vom Zug ab und brachten sie hinauf zu den Höfen bzw. in die Wälder. Einer von ihnen hat sie schließlich bei der Gestapo verraten.
Am 8. November 1944 wurden Anna, ihre Schwester und ihre Mutter verhaftet. Der Vater, der zu diesem Zeitpunkt nicht daheim war, suchte nach ihnen – worauf er ebenfalls verhaftet wurde. Er starb später im Konzentrationslager Dachau. Schwester und Mutter blieben in Klagenfurt inhaftiert, Anna hingegen kam mit 14 weiteren slowenischsprachigen jungen Frauen (aus Kärnten und Slowenien) im Jänner 1945 auf einen insgesamt 20-tägigen Transport nach Ravensbrück und unmittelbar weiter ins benachbarte Mädchen-Konzentrationslager Uckermark. Anna war damals erst 16 Jahre alt.
In den ersten Monaten 1945 fungierte die Uckermark als Vernichtungslager von Ravensbrück, einige Mädchen des Jugend-KZ verblieben aber dort, darunter auch der Block mit den slowenischen Mädchen. Anna hat im Sommer 1945 in einem kurzen Text ein paar Erinnerungen an die Uckermark festgehalten: „Nach nur einen Tag in Ravensbrück brachte man uns in das Jugendlichenlager Uckermark, wo große Disziplin herrschte und es viel Arbeit und wenig Verpflegung gab. Es war furchtbar für uns. Um 5 Uhr mussten wir täglich aufstehen und zum Frühsport antreten, und zwar draußen im Schnee und ohne Schuhe. An der Tagesordnung war morgens und abends waschen unter eiskalter Dusche. Morgens, mittags und abends gab es täglich Appell. In diesem Lager war ich vom 25. Januar bis zum 19. April 1945.“ Anschließend wurden die jungen Frauen ins sogenannte „Arbeitserziehungslager“ Güstrow gebracht, von wo sie am 30. April auf die Straße gejagt und sich selbst überlassen wurden, nach drei Tagen befreiten sie Angehörige der sowjetischen Armee.
Nach der Befreiung kam Anna Kupper mit dem Zug über Ungarn und Slowenien nach Hause, erst Ende August war sie wieder daheim in Kärnten. Am Heimweg musste sie erfahren, dass der Vater die Inhaftierung nicht überlebt hatte. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester führte sie nun die Landwirtschaft weiter. 1948 heiratete Anna Danilo Kupper, mit dem sie drei Töchter großzog, Tatjana, Maja und Dora.
Anfang der 1980er Jahre kehrte Anna erstmals nach Ravensbrück und in die Uckermark zurück, im Kreise ihrer slowenischen Freundinnen, dann auch mit den Freundinnen der österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück, deren Mitglied Anna Kupper viele Jahrzehnte war. Die letzten Fahrten zu den Befreiungsfeiern waren ihr dank der Töchter und auch ihres Enkels Lino möglich, die sie auf diesem schweren Weg voller bedrückender Erinnerungen begleiteten. Bei den Gedenkfeiern im KZ Uckermark war Anna eine wichtige Zeitzeugin. Trotz arger Schmerzen in den Knöcheln, die sie die letzten Jahre schon stark beim Gehen beeinträchtigten und vermutlich Spätfolgen von Erfrierungen aus ihrer Haftzeit in der Uckermark waren, wollte Anna (mit Enkel Lino) auch dieses Jahr zum großen Jubiläum des 65. Jahrestages der Befreiung in den Norden Deutschlands reisen. Dies verhinderte leider die Aschewolke über Europa.
Von Anna Kupper existierte Jahrzehnte lang kein größeres Interview; nur in kleinerem vertrauten Kreis konnte sie über ihre Verfolgung reden, über den Verlust des Vaters, die Entbehrungen und Qualen in den Konzentrationslagern, über manch Bitternis nach der Rückkehr in eine nicht entnazifizierte Heimat. Nach einem Treffen der slowenischen Ravensbrück- und Uckermark-Freundinnen in Portorož war es jedoch Kolleginnen möglich, Annas Erzählungen in einem kurzen Buchbeitrag wiederzugeben.
Für das Film-Generationenprojekt „Visible“ sprach Anna ausführlich über ihr Leben, auch ihre Töchter wurden über die Familiengeschichte befragt. Marika Schmiedt gestaltete mit diesen Interviews ein berührendes Portrait, das Anna Kupper in ihrer Vielschichtigkeit zeigt: stark und mutig, aber auch zaghaft und empfindsam.
Ich werde Annas dunkle, aber funkelnde Augen in Erinnerung behalten, ihre etwas zurückgenommene und dennoch auf uns zugehende Art. Und natürlich ihr verschmitztes Lächeln. Ich weiß nicht mehr, wann wir Wienerinnen der Nachgeborenen-Generation in der Lagergemeinschaft das erste Mal mit Anna Kupper aus Kärnten zusammengetroffen sind, „wie ein wertvolles Geschenk war sie auf einmal Teil von uns“, wie Sylvia Köchl meinte; ich erinnere mich aber an viele schöne Begegnungen seitdem, lustige wie nachdenkliche.
Wir werden Anna Kupper sehr vermissen.
Brigitte Halbmayr
Anna Kupper lernte ich vor ein paar Jahren bei einer gemeinsamen Fahrt nach Ravensbrück kennen. Wir haben uns sofort gut verstanden, waren wir in gewissem Sinne doch Leidgenossinnen, denn beim Autobusfahren wurde uns schlecht, sehr schlecht. Deswegen mussten wir die erste Sitzreihe im Bus für uns in Anspruch nehmen. Anna ist immer links gesessen und musste noch zusätzlich eine trockene Semmel „mämmeln“ (essen). Manchmal wagten wir es, unsere Köpfe kurz auf die Seite zu drehen, haben uns dann angelächelt und sofort wieder mit starrem Blick nach vorne geschaut.
In Ravensbrück selbst sind wir dann ein Stück des gemeinsamen Weges gegangen. Anna hat nie sehr viel gesprochen, nur das sie ein junges Mädl war und es im Lager Uckermarck grauenhaft war, fast nichts oder nichts zu essen, kalt war es und brutal die Gesetze. Sie musste viel arbeiten und viel Appell stehen, egal bei welchen Temperaturen. Manchmal hab ich mir gedacht, oje, nur nicht zu viel nachfragen, wart auf das nächste Mal.
Am Abend, wenn wir dann gemütlich beisammen gesessen sind und gesungen haben, hat Anna immer so den „Faulheitstext gesummt“ – und dann mussten wir lachen. Einmal hab ich von ihr ein Kochrezept über wirklich köstliche Apfelknödel bekommen, die ich seither einmal im Monat kochen muss.
Nun haben wir die traurige Nachricht erhalten, Anna Kupper ist gestorben. Ich werde bei der nächsten Fahrt alleine in der ersten Reihe sitzen und meine Gedanken werden bei Anna sein.
Mahatma Gandhi hat einmal gesagt, wer den Fluss überqueren will, muss zuerst das eine Ufer verlassen. Ich bin mir sicher, dass Anna gut angekommen ist und ich kann nur sagen: Danke, Anna, dass ich dich kennenlernen durfte – und die Erde sei dir leicht.
Siegrid Fahrecker
Text und Film
Anna Kupper: „Wir versuchten, eine die andere zu trösten und uns damit diese Bitternis unseres jungen Lebens zu erleichtern“; in: Limbächer, Katja / Merten, Maike / Pfefferle, Bettina (Hg.): Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart. Münster 2000. S. 157-160
Anna Kupper – Der Dreck auf der Kehrschaufel war abends in der Blutwurst. Filmportrait von Marika Schmiedt, Projekt VISIBLE, Wien 2010