Das Vermächtnis der „Ravensbrückerinnen“
Nach vielen aktiven Jahrzehnten übergaben die „Ravensbrückerinnen“ im Jahr 2005 die Vereinsagenden an Frauen der nachfolgenden Generationen – seither nennen wir uns „Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen“
(ÖLGR/F).
Um es den jüngeren AktivistInnen zu erleichtern, dieses Vermächtnis der Überlebenden weitertragen zu können, beschlossen die „Ravensbrückerinnen“, zur Orientierung eine Präambel zu verfassen, die den Vereinsstatuten seither vorangestellt ist.
Mit diesem Text haben die „Ravensbrückerinnen“ die Kernaufgaben klar festgeschrieben, denen wir mit unseren Projekten, mit Öffentlichkeitsarbeit und mit politischen Stellungnahmen und Interventionen gerecht werden wollen.
Der Text wurde von der Auschwitz- und Ravensbrück-Überlebenden Lotte Brainin (in Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann Hugo Brainin) verfasst und von den „Ravensbrückerinnen“ am 15. März 2005 beschlossen.
Präambel der Statuten des Vereins „Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen“
Wir ehemaligen Ravensbrücker Häftlinge, zusammengeschlossen in der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück, haben seinerzeit beschlossen, junge Freundinnen in unsere Lagergemeinschaft aufzunehmen, weil wir möchten, dass unsere Tätigkeit fortgesetzt wird, auch dann, wenn wir Alten nicht mehr da sein werden.
Um sicherzustellen, dass der Geist, in dem unsere Gemeinschaft gegründet und geführt wurde, in derselben Richtung weitergeführt wird, möchten wir die Grundsätze, auf denen unsere Tätigkeit beruht, obwohl diese Grundsätze in den Statuten unseres Vereines auch angeführt sind, noch einmal anführen. Damit wollen wir unseren jungen Freundinnen helfen, sich gegen aufdrängende Richtungsänderungen erfolgreich zur Wehr zu setzen.
Diese Grundsätze sind:
1) Erhaltung der Erinnerung unseres Kampfes gegen den Nationalsozialismus, der die böseste Form des Faschismus ist.
2) Verteidigung der Demokratie und bedingungsloser Kampf gegen jede Form der Diktatur, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.
Wann immer die Statuten der jetzigen und sich bildenden Lagergemeinschaft aus welchen Gründen auch immer geändert werden sollten, sind diese beiden Grundsätze in die Statuten aufzunehmen und zu befolgen. Daher ist diese Präambel auch allen künftigen Statuten voranzustellen.
Was es bedeutet, eine Lagergemeinschaft fortzuführen in eine Zukunft, in der wir alle die Überlebenden der Konzentrationslager nicht mehr befragen, anhören und kennenlernen können, ist eine Frage, deren Beantwortung wir uns laufend annähern. Wir haben keine fertigen Antworten.
Materialien:
Schwerpunkt „Das politische Erbe von Ravensbrück weitertragen“ in den „Ravensbrückblättern“ Nr. 105 / Dezember 2000 (herausgegeben von der deutschen Lagergemeinschaft Ravensbrück Freundeskreis)
Lisa Steininger: „Erinnern und Gedenken führt zum Heute“ (Artikel in: FrauenLesbenNachrichten_2002)
Rede beim Frauengedenken in Mauthausen am 8. Mai 2005 von Ingrid Bauz (Antifaschistische Initiative Gegen das Vergessen, Stuttgart) zu Fragen des Vermächtnisses
Diskussion mit „Ravensbrückerinnen“ über das Vermächtnis. 60 Jahre Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück, Mitteilungsblatt 2007
Sylvia Köchl: „Lernen, zuhören, fragen“ Die Ravensbrückerinnen und ihr Vermächtnis an die nächsten Generationen (Artikel in AUF – Eine Frauenzeitschrift, Nr. 142 / Dezember 2008)
Sylvia Köchl & Kerstin Lercher: Immer auf der Seite der Frauen. Die Lagergemeinschaft Ravensbrück: Zur Geschichte einer einzigartigen Frauenorganisation (Artikel in: Zeitschrift Gedenkdienst, Nr. 2/2009)