Ida Huttary (1921 -2015)


13. April 1918 – 21. Oktober 2015

Ida Huttary mit Irma Trksak im Dezember 2013

Ida Huttary (links) mit Irma Trksak im Dezember 2013 bei einer Feier der Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnnen     Foto: © Sylvia Köchl


Rede von Brigitte Halbmayr zur Verabschiedung von Ida Huttary

Liebe Inge, liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde!
Letzte Woche ist ein langes Leben zu Ende gegangen. Im Alter von 97einhalb Jahren ist Ida Huttary gestorben, indem sie friedlich in den Tod hinübergeschlafen ist. Das hat uns wohl alle etwas getröstet und versöhnt – uns, die wir auf eine Todesmeldung einer Hochbetagten gefasst sein mussten, und die wir bei der Nachricht dennoch einen großen Schmerz empfanden. Denn wer Ida kannte, musste sie auch gern haben – mit ihrer fröhlichen Geselligkeit, ihrer Herzlichkeit und ihrer positiven Lebenseinstellung.
Ich habe Ida Mitte der 1990er Jahre in der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück kennengelernt, einem Zusammenschluss von Überlebenden des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Ida hatte dort bei den monatlichen Treffen ihren fixen Platz, später immer ihre Tochter an ihrer Seite. Inge verstand mit Kopf und Herz, warum die Zusammenkünfte der Lagergemeinschaft für ihre Mutter so wichtig waren, und begleitete sie daher gerne in die Lassallestraße, in den KZ-Verband. Denn Idas Leben wurde entscheidend dadurch geprägt, woran die Lagergemeinschaft Ravensbrück über Jahrzehnte hinweg erinnerte: an den Widerstand und die Verfolgung politisch Andersgesinnter im Nationalsozialismus.
Ida wurde 1918 hier, in Brunn am Gebirge, als Ida Schönpflug geboren. Sie wuchs mit vier weiteren Schwestern und einem Bruder in einer sozialdemokratisch gesinnten Familie auf. Mit 17 Jahren lernte sie ihre große Liebe, ihren Mann Adolf kennen. Mit der Hochzeit 1938 konnte Ida ihre Arbeitsstelle im Haushalt einer Tierärztin, die die Machtergreifung der Nazis bejubelte, beenden – dies war mit ein Grund für die Heirat. Ida zog zur Familie ihres Mannes, allesamt überzeugte Kommunisten und die Männer in der hiesigen Glasfabrik im Widerstand aktiv. Einer von ihnen, Idas Schwager Albert, musste 1942 einrücken. In Russland lief er zum Feind über, ließ sich zum Funker und Fallschirmspringer ausbilden und nach England bringen, wo er ein Jahr lang auf seinen Einsatz in Österreich wartete.
Eines Tages, im Jänner 1944, stand Albert plötzlich vor der Tür und bat bei seinen Eltern um Unterschlupf. „Das war eine Selbstverständlichkeit, dass wir da geholfen haben“, erzählte Ida später, wenngleich die Wohnverhältnisse extrem beengt waren und die Gefahr enorm groß. Die Nachbarfamilie versteckte Albert in der Nacht, tagsüber war er daheim im Kabinett, auch während im Nebenzimmer in geselliger Nachbarnrunde Karten gespielt wurde, Nazis unter den Gästen inklusive. „Die drei Monate“, so erinnerte sich Ida, „die drei Monate waren furchtbar für uns, nur ein Zittern, weil kaum ist der Wind gegangen, dachten wir schon, sie kommen.“ Die Gestapo kam tatsächlich und verhaftete die gesamte Familie.
Es folgten viereinhalb Monate Gestapohaft in Wien. Im August 1944 wurden die Frauen nach Ravensbrück deportiert, Idas Schwiegervater nach Dachau verschleppt, Albert, der Fallschirmspringer, war vor seiner KZ-Haft in der Kleinen Festung in Theresienstadt mehrfach verhört worden. So auch sein Kompagnon Josef Zettler, der mit ihm abgesprungen war und der von einem Versteck zum anderen weitergereicht werden musste. Insgesamt wurden 17 Personen verhaftet, die die beiden Männer in irgendeiner Weise unterstützt hatten. 13 von ihnen kamen in Konzentrationslager, fünf von ihnen überlebten diese nicht.
Darunter waren auch Idas Schwiegermutter Karoline Huttary und deren Schwester Hermine Müllner. Ida hatte sie in Ravensbrück nach all ihren Kräften und unter großen Gefahren unterstützt; durch diese Aufgabe erst, so erzählte Ida einmal, sei sie zur Kämpferin geworden. Doch für die Nazis zählte das Leben von Häftlingen wenig, das Leben von alten Frauen noch weniger. Ihr Tod – wenige Wochen vor der Befreiung – wurde willentlich durch Verkürzung der Essensrationen, Kälte und anderen erschwerenden Haftbedingungen herbeigeführt. Idas Schwiegervater wurde zwar in Dachau befreit, verstarb aber noch vor Ort an den Folgen der Haft.
Ida selbst musste in Ravensbrück zuerst im Straßenbau-Kommando, also bei einer sehr kräftezehrenden Tätigkeit schuften, bevor sie über Vermittlung der Wienerin Bertl Lauscher in der Effektenkammer, also dem Kleiderdepot des Lagers, eingesetzt wurde. Ihren Überlebenswillen schöpfte Ida aus dem großen Wunsch, ihren Sohn Fredi, den sie mit 18 Monaten bei ihrer Schwester lassen musste, wiederzusehen und aufziehen zu können. Auch Idas Mann überlebte die NS-Zeit, den Kriegsdienst, und somit war nach gut zwei Jahren die Familie wieder vereint. Einem weiteren Wunschkind stand nichts mehr im Wege, 1948 kam Tochter Inge auf die Welt. Ein glückliches Familienleben nahm seinen Lauf.
Doch die Verfolgungsereignisse haben ihre Spuren hinterlassen. Die Erinnerungen an die Ängste, Entbehrungen und Verluste von Menschenleben waren immer wieder gegenwärtig, ob man wollte oder nicht. In der Familie waren sie schmerzhaft und daher tabuisiert, die österreichische Gesellschaft wollte von den nationalsozialistischen Verbrechen nichts wissen, und auch offizielle Stellen befanden zunächst, dass der KZ-Haft der Huttarys „private Angelegenheiten“ zugrunde lagen, weshalb Ida vorerst nur einen Opferausweis erhielt. Erst nach einem Jahr Kampf wurde ihr eine Amtsbescheinigung ausgestellt und damit die Anerkennung als politisches Opfer zugesprochen. Und erst viele Jahrzehnte später wurden ihr das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien sowie das Ehrenzeichen für die Verdienste um die Befreiung Österreichs verliehen.
Wie viele andere auch, sprach Ida mehrere Jahrzehnte nicht über das Erlittene, nicht daheim in der Familie, geschweige denn in der Öffentlichkeit. Vergessen konnte sie die Traumata der Verfolgung aber nicht.
Mitte der 1990er Jahre war Ida noch zu scheu und möglicherweise zu bescheiden, um in einem Interview ausführlich über ihr eigenes Leben zu berichten – erst ein gutes Jahrzehnt später, als wir uns dann besser kannten, gab sie über ihr Leben Auskunft. Dadurch erst war es möglich, die Zusammenhänge in den Verfolgungsgeschichten der Familien Huttary, Wundsam, Hochmeister, Holzer, Müller und Tartar sichtbar zu machen und sie als gemeinsamen Fall zu erkennen.
Sicherlich war das Reden über die Vergangenheit und damit das Eintauchen in Wochen und Monate der Angst und des Überlebenskampfes schmerzhaft und sehr aufwühlend; aber wohl auch genugtuend, weil deutlich wurde, das Leben trotz Verfolgung gut gemeistert zu haben; und schließlich war das Erzählen für Ida auch wohltuend, so denke ich, weil sie damit bei der nächsten Generation auf breites Interesse stieß. In die Öffentlichkeit zu treten, kostete Ida dennoch immer etwas Überwindung, und ich kann mich noch an mehrere Gelegenheiten erinnern, in denen Ida über die vielen Fragen zu ihrem Leben verwundert schien. Umso mehr freuen wir uns, Ida im Filmporträt zu ihr, in der Reihe Visible, zusehen zu können, wie sie in ihrer unverwechselbaren Art erzählt.
Bis vor eineinhalb Jahren kam Ida regelmäßig zu den Treffen der Lagergemeinschaft. Nur äußerst schlechte Witterung oder Krankheit konnten sie vom langen Weg in den Zweiten Wiener Gemeindebezirk abhalten. Aufmerksam verfolgte sie die oft hitzigen Debatten, und wurde ein Geburtstag einer Kameradin, oder ihr eigener, gefeiert, stimmte sie freudig in den Gesang ein. Die gemeinsamen Aktivitäten waren Ida immer sehr wichtig. Sie hat uns „Jungen“ damit ermuntert und bekräftigt, das Vermächtnis der Lagergemeinschaft Ravensbrück anzunehmen und weiterzutragen.
Ida wurde in ihrem letzten Lebensjahrzehnt liebevoll von ihrer Tochter Inge betreut. Ihre Kinder, Enkelkinder und auch fünf Urenkelkinder in der Nähe zu wissen, erfüllte Ida an ihrem Lebensabend mit großer Freude und Zufriedenheit.
Letzte Woche ist ihr langes Leben zu Ende gegangen.
Liebe Ida, wir danken Dir für die vielen schönen Momente, die wir mit Dir erleben konnten. 
Wir werden Dich immer in Erinnerung behalten.

(Wien/Brunn am Gebirge, 29.10.2015)

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Ida Huttary (rechts) im Gespräch mit Brigitte Halbmayr (2008)   Videostill © Bernadette Dewald

 


Mehr zum Leben von Ida Huttary:

Biografie auf ravensbrueckerinnen.at

Brigitte Halbmayr, „Das war eine Selbstverständlichkeit, dass wir da geholfen haben.“ Die Fallschirmagenten Albert Huttary und Josef Zettler und ihre UnterstützerInnen – ein Fallbeispiel. In: Dokumentatisonsarchiv des österreichischen Widerstands (Hg.), Jahrbuch 2009, Schwerpunkt: Bewaffneter Widerstand – Widerstand im Militär (Wien 2009), S. 176-204.

Videoportrait: Ida Huttary: „Das war halt ein Schicksal, ein nicht schönes…“ (EDITON VISIBLE) von Bernadette Dewald